Berlin schreibt vielen Menschen, auch mir, die Geschichten wie von selbst – die Jahreszeiten geben ihr übriges noch dazu. Und so begleitet mich und die Leser von Rosegarden die kommenden zwölf Monate die Geschichte um eine Gemeinschaft von vierzehn Personen in Episoden, die erst im Laufe des Jahres entstehen. Die Fotografin Saskia Kyas gibt jeden Monat den passenden optischen Zusatz.
“Es geht ihm gut, lass uns fahren.”
Hennes hatte keine halbe Stunde auf dem Gelände verbracht, doch kam nach dem Gespräch mit der Gewissheit am Parkplatz an, dass Matthews Entscheidung für die Klinik die einzig richtige und notwendige war. David hatte sich in letzter Minute umentschieden und das Aufeinandertreffen abgesagt, dafür Hennes gebeten, ihn zu vertreten.
“Hat er etwas gefragt?”
“David, er war sehr beschäftigt. Die Termine sind eng getaktet. Ich schätze, das wird auch von ihm ausgehen. Aber nein, der Pfleger hat mir wissend zugenickt, Matthew selber – tja, er braucht seine Zeit und uns vielleicht weniger.”
Die Silhouette der drei entwurzelten Bäume gaben der Straße etwas Künstliches. Fotografen und anderweitig Interessierte reisten durch die betroffenen Bundesländer und hielten die Nachwirkungen des Naturspektakels fest. Von dichten Zweigen begrabene Kleinwagen und gewaltige Baumkronen, die sich seit Tagen in Balkons und auf Dachterrassen abgelegt hatten, waren passende Motive zwischen Herbst und empfundenem Jahresende.
Natürlich hatte Matthew nicht von der Gruppe gesprochen, nicht nach David gefragt und diese Leere, die ihn umgab, hatte etwas Leichtes, von Hoffnung.
Der fuhr durch die Allee, wurde dabei immer langsamer. Erst Hennes musste ihn darauf hinweisen, dass sich hinter ihnen eine Schlange bildete. Das Hupen und dichte Auffahren im Hintergrund waren ihm gleich. Es zermürbte ihn, keine Hilfe gewesen zu sein, eher noch Unterstützung oder Beiwerk Richtung Krankenhausaufenthalt. Doch er wollte es wieder gut machen, bald, wenn dies möglich sei. Nun mussten sie sich aber beeilen, hatten sie Alexander versprochen, ihm beim Tragen einiger Sachen aus dem Keller zu helfen.
Alexander fühlte sich schlapp und von allen isoliert. Jedes Husten war ein Niesen, jedes Atmen ein Verschlucken. Seit Tagen wurden die freien Stunde mit dem Aussortieren alter Zeitschriften und dem Stapeln unklarer Belege verbracht, der Abstellraum als Sammelplatz für all das genutzt, was zu entsorgen sei oder in Kisten an den nächsten Bordstein gehörte. Alexander hatte sich gegen Umzüge gewehrt, dieses so oft beschriebene Freiheitsgefühl mit jedem Gang zum Müllcontainer fehlte ihm völlig. Der Umzug war gestern Abend in mehreren Stunden hinter sich gebracht worden. Die Firma kam zu spät, waren sichtlich erschöpft vom Tag und brauchte länger als ausgemacht, doch Alexander wollte kein Verschieben auf den nächsten Morgen dulden. So stand in der alten Wohnung außer ein paar wenigen Pflanzen, deren Schicksal noch unklar blieb, bloß vereinzelte Farbspritzer auf dem Boden und Fensterrahmen aus Holz, die laut Mietvertrag abschließend als Schönheitsreparatur zu streichen waren. Den Keller aber wollte er sich aufheben, als finale Baustelle, zu viel persönliches Allerlei hatte sich gesammelt und Möbelstücke, die auch nicht per Selbstabholung loszuwerden waren, warteten auf die Fahrt zur Deponie.