Berlin schreibt vielen Menschen, auch mir, die Geschichten wie von selbst – die Jahreszeiten geben ihr übriges noch dazu. Und so begleitet mich und die Leser von Rosegarden die kommenden zwölf Monate die Geschichte um eine Gemeinschaft von vierzehn Personen in Episoden, die erst im Laufe des Jahres entstehen. Die Fotografin Saskia Kyas gibt jeden Monat den passenden optischen Zusatz.
Der September glänzte in Gold und bewahrte seinen Takt. Die Zeit des Abwartens und Überdenkens war vorüber oder sollte erst folgen. Es gab etliche Gründe, um an Aufbruch zu glauben und sich dem Schwarz zu widersetzen.
Diane hatte ihre Ausstellung kaum beworben, diesen Punkt einer öffentlichen Veranstaltung unterschätzt oder an die Kraft des digitalen Weitersagens geglaubt. Einer Handvoll Gäste konnte sie sich gewiss sein, hatte David Massari längst und in Wiederholung sowohl Ort als auch Zeitpunkt an die Gruppe weitergegeben. Niemand fragte nach dem Essen vor Ort, der Dauer der Veranstaltung, alle sagten sie zu.
Der Blick auf das Rote Rathaus unter blauem Himmel war günstig. Die Stühle, Trennwände aus Metall und Holzpaletten standen leer vor dem Eingang der Räumlichkeiten. Diane hatte eben noch mit einem Freund telefoniert, der sich selbst als ihr Management verstand, selbst aber der Kunst ferner war als der persönlichen Schwärmerei und dieser Lust im verschwindenden Sommer. Da kamen auch schon Gerda und Sarik, die Diane kaum erwartet hatte, aber nicht ähnlich unsicher zurück grüßte. Sarik hatte sich geradezu schick gemacht, hoffte schnell auf das Eintreffen weiterer Gäste, war er kein Kenner von Installationen und Collagen. Seine Gattin lehnte das Freigetränk nicht ab, bedankte sich und betrachtete sich die Außenanlage in hautfarbenen Schuhen. Etwas hatten die beiden an sich, das anders war, nach Vorbereitung roch und Unruhe ausstrahlte, gerade bei der eintreffenden Tilly, die eng an Maren Kluge laufend sich der Künstlerin näherte und für die Einladung bedankte.
Frietjofs “Aufwiedersehen!” zum morgendlichen Abschied klang in Valentinas Ohren von Tag zu Tag mehr nach Abschied. Der Sex wurde ähnlich schlecht wie die Gespräche. Beide empfanden so. Und dennoch aßen sie Abendessen miteinander, brachten Anne zu zweit zu Bett und waren froh über Alexanders unangekündigte Besuche zu allen Tageszeiten.
Valentina bat die Männer, schon einmal zur Ausstellung vor zu gehen, sie bräuchte noch etwas Zeit für sich. Der wahre Hintergrund war eine Nachricht im Posteingang, die sie seit Tagen von sich schob. Ihre beste Freundin Manon, die sich zumindest über Jahrzehnte als solche bezeichnet hätte, konnte das plötzliche Wiedersehen im letzten Monat nicht tatenlos hinnehmen. Valentina war von einem auf den anderen Tag aus Manons Leben verschwunden. Ohne Vorwarnung, ohne Streit. Manon hatte über die eigenwilligsten Wege versucht, den Kontakt zu Valentina wieder herzustellen. Sie schrieb Briefe, stand vor der Haustür, ging auf Veranstaltungen, auf welchen sie Valentina vermutete. Versuchte virtuell Anteil an Valentinas Alltag nehmen zu können. Sie zweifelte an der Freundschaft, der Vergangenheit, schließlich an sich selbst. Ein gutes Jahr hatte Manon gehofft und vermisst, die Trauer zu Wut werden lassen. Dann kam die Stille, das flache Gefühl bei alten Fotos oder Erinnerungen durch andere Freundschaften, welches kaum noch weh tat. Und dann kam jener Tag, an dem sie dort stand, Valentina wieder echt wurde, mit einem Kind, mit scheuem Blick und dem Instinkt des Versteckens.
Anne schrie im Hintergrund und forderte Aufmerksamkeit. Da schloss Valentina den Laptop, wischte das Grundgefühl zur Seite und kümmerte sich um ihr Kind.