Berlin schreibt vielen Menschen, auch mir, die Geschichten wie von selbst – die Jahreszeiten geben ihr übriges noch dazu. Und so begleitet mich und die Leser von Rosegarden die kommenden zwölf Monate die Geschichte um eine Gemeinschaft von vierzehn Personen in Episoden, die erst im Laufe des Jahres entstehen. Die Fotografin Saskia Kyas gibt jeden Monat den passenden optischen Zusatz.
Sie waren kaum zu entziffern, mit ihrem Schwung und wechselnden Größen. Sie waren kaum zu verstehen, mit ihrer Geradlinigkeit und wiederkehrenden Aussagen.
Maren Kluge hatte den Brief, den sie nicht gleich als eine Antwort auf Ihre Post verstand, immer mal wieder zur Hand genommen, zur Seite gelegt und an diesem Morgen erneut auseinander gefaltet und mit dem Zeigefinger abgeglichen.
Sie hatte vom Absender geträumt, war zumindest mit seinem Bild im Kopf an die Bettkante gerutscht und zum Klavier gelaufen, um sicherzugehen, dass er dort nicht tatsächlich saß. Frau Kluge überkam das Gefühl, ihn sehen zu müssen, ein paar wenige Worte zu wechseln. Falsch, er könne ihr helfen. Unterbrochen von Hennes, der kurz in die Wohnung kam, nach einem Ersatzschlüssel für sein Fahrradschloss suchte, Maren im Lauf zügig über die Schulter strich und sie bat, den Abend nicht zu vergessen. Es war einer der drei Wochentage, an dem sie ihre freie Zeit nur für sich einplanten. Für mehr Verbindlichkeit und Gemeinschaft. Mehr Beziehung. Eingeführt und erbeten von Hennes, war es für Maren eine lieb gedachte Geste, die bisher eher eine holprige Umsetzung erfuhr. Was an beiden lag, doch keinen der beiden überraschte.
Die Straßen waren leerer als üblich, selbst der Lärm wollte dem Alltag nicht gleich ziehen. So lief Maren an Neubauten vorbei, die ihr fremd waren, über Umwege zum Märkischen Museum, an dem sie erstmals zu einer Pause Platz nahm und Steine aus den Schuhen sammelte. Eine Dame parkte zügig im Halteverbot, ging an ihr vorbei, kam zum Wagen zurück, verschwand erneut und hatte schließlich ein Handtuch um den feuchten Nacken gelegt, war wohl der bereits dritte Koffer zu verstauen. Als Maren aufstand, um Richtung Haustür des Doktors zu gehen, schritt sie parallel mit der Dame zum selben Ziel. Die drehte sich im Gang um und blickte Maren entgegen.
“Sie verfolgen mich. Könnte ich den Grund erfahren?”
“Ich schätze, wir kennen uns. Ich war auf dem Weg zum Doktor. Wohnen Sie nicht auch hier? Sie hatten uns doch damals empfangen, bei einem Essen. Erinnere ich mich richtig, Frau Gleisen?”
Das tat diese sehr wohl. Hatte Maren kaum wiedererkannt und doch auf ein Gespräch eingelassen. Zögerlich musste sie darauf hinweisen, Doktor Nebel hier nicht mehr antreffen zu können. Er hätte sich gegen die Stadt entschieden, für Ruhe und Grün. Maren verwies auf die Post, die sie erhalten hatte. Auf den dringlichen Wunsch, einige Sachen klar zu stellen.
Es war nichts zu machen. Weder bat Frau Gleisen an, ihr die neue Adresse vertraulich zuzustecken, noch zeigte sie auf den leeren Platz auf ihrem Beifahrersitz. Die Konversation wurde gekappt, Maren fragend stehen gelassen. Bis sie ein parkendes Taxi in der Ferne sah, zu dem sie sich gefühlt unauffällig hinstahl und den Fahrer bat, der Frau im Dieselwagen zu folgen.